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Dekonstruktion: Warum ich nicht mehr glaube

Autorenbild: Maren KahlMaren Kahl

Die Gründe für meinen Abschied vom christlichen Glauben


Das Bild einer leeren Kirche
Dekonstruktion: Warum ich nicht mehr glaube

Nachdem ich meinen christlichen Glauben dekonstruiert und angefangen habe, darüber zu sprechen, wurde ich von Christ*innen zuverlässig mit zwei Vorwürfen konfrontiert:


  1. Dann hast du ja nie richtig geglaubt. / Dann warst du nie richtige Christin.

  2. Du bist von Gemeinden und Menschen enttäuscht worden. Das darfst du nicht auf Gott projizieren.


Abgesehen davon, dass ich beide Äußerungen als bevormundend und anmaßend empfinde, halte ich sie auch inhaltlich für falsch. In diesem Beitrag gehe ich darauf ein, wie die Dekonstruktion meines Glaubens begonnen hat, wieso ich nicht mehr glaube und warum ich diese vorschnellen Be- bzw. Verurteilungen schwierig finde.


1. Dann hast du ja nie richtig geglaubt. / Dann warst du nie richtige Christin.


Wenn ich mit dieser Äußerung konfrontiert werde, habe ich oft das Verlangen, mich zu erklären und aufzuzeigen, wie ernst mein Glaube wirklich war:


Ich bin, wie viele andere auch, mit dem Glauben an eine wortwörtliche Auslegung der Bibel aufgewachsen. Als Kind habe ich alle Angebote unserer Gemeinde wahrgenommen - von der Kükenjungschar über den Kindergottesdienst bis hin zu Freizeiten und den Konfirmationsunterricht - und auch zu Hause stand der Glaube im Fokus unseres Alltags. Die Überzeugung, dass ich nur von meinen Sünden erlöst werden würde, wenn ich Gott mein ganzes Leben übergebe, war schon immer da. Von klein auf wusste ich um die Bedeutung der persönlichen Beziehung zu Jesus, Gebete und Anbetungslieder begleiteten meine Kindheit und Jugend. Mein Glaube hatte schon früh einen großen Ernst - schließlich würde Gott am Tag des Jüngsten Gerichts über das menschliche Dasein im Himmel oder der Hölle entscheiden. Im Teenageralter beschäftigte ich mich intensiv mit der Bibel, las Bücher, um Gott und den christlichen Glauben besser zu verstehen, und nach meinem Abitur entschied ich mich dazu, eine Ausbildung zur Jugendreferentin und zur Erzieherin an einer Bibelschule zu absolvieren. Mein größter Wunsch war es, mein Leben ganz Gott zu widmen und andere Menschen zu missionieren.


Doch noch während ich meinen christlichen Werdegang zusammenfasse, wird mir bewusst, dass ich noch so sehr auf die Intensität meines früheren Glaubens pochen kann. Das Problem ist, dass mir meine Aussagen nicht abgenommen werden. Mit dem Satz "Du warst nie richtig Christin" wird mir unterstellt, dass ich lüge. Und ich denke, dass dies die Folge einer Grundannahme ist, die viele Christ*innen (genau wie ich früher) treffen: Wenn ein Mensch erstmal Christ ist, die Wahrheit erkannt und sich bekehrt hat, kann er nicht mehr vom Glauben abfallen. Er hatte die Erkenntnis, die Erleuchtung und kann sie nicht mehr rückgängig machen. Fällt ein Mensch nun doch vom Glauben ab, gerät diese Überzeugung ins Wanken. Plötzlich passt die Realität nicht mehr zur eigenen Sichtweise (man nennt dies auch kognitive Dissonanz) und zwangsläufig wird nach einer Lösung gesucht. Die einfachste Erklärung: Dieser Mensch hat nie richtig geglaubt, er hat die Wahrheit nicht wirklich erkannt. Ich glaube, dass dies häufig der eigentliche Grund dafür ist, dass Christ*innen mir meinen früheren Glauben absprechen. Denn nur so können sie sich erklären, dass ich heute Atheistin bin. Und ich fürchte, dass es nicht hilft, wenn ich mich erkläre und rechtfertige. Ich werde niemanden überreden können, mir zu glauben.


Und so bleibt mir nur zu sagen: Ich war Christin. Und dass ich es nun nicht mehr bin, hat nichts damit zu tun, dass mein Glaube sowieso nie echt gewesen wäre. Vielmehr kamen während meiner Zeit an der Bibelschule etliche Fragen auf, auf die ich keine Antworten finden konnte. Um den Beitrag nicht in die Länge zu ziehen, werde ich die einzelnen Themen nur kurz anschneiden, doch diese Kürze steht in keinem Verhältnis zu meiner tatsächlichen Beschäftigung mit den Themen, die sich über mehrere Jahre zog.


a) Woher kommt das Böse?


Eine der ersten Fragen, die sich mir stellten, war: Welchen Ursprung hat das Böse eigentlich? War es schon immer da, war also Teil eines übergeordneten, dualen Systems, in dem sich Gott und Satan gegenüberstehen und um den Sieg kämpfen? Oder hat Gott selbst das Böse erschaffen? In beiden Fällen müsste ein allmächtiger Gott doch fähig sein, es zu vernichten. Wieso durfte es also weiter existieren? Für mich wurde diese Frage elementar, denn je nach Antwort hatte sie entscheidende Auswirkungen auf das Wesen Gottes.


b)  Der Mensch und der freie Wille


Zum Ursprung des Bösen habe ich keine hilfreichen Antworten gefunden. Stattdessen argumentierten meine Gesprächspartner:innen mit dem freien Willen des Menschen. Ihrer Meinung nach, vernichtet Gott das Böse nicht, damit sich der Mensch frei für oder gegen Gott entscheiden kann. Doch auch das machte für mich wenig Sinn. Denn erstens legen etliche Geschichten der Bibel nah, dass Gott stark in die Gedanken der Menschen eingreift und sie nach seinem Willen lenkt, und zweitens kann man wohl kaum von einer freien Entscheidung sprechen, wenn bei einer von zwei Optionen eine Folterstrafe droht. Zudem schien mir der Mensch mit einer gewissen Disposition zum Egoismus und damit zur Sünde ausgestattet worden zu sein. Und ich fragte mich, ob ich tatsächlich Schuld an meinem Wesen, an meinen Eigenschaften als Mensch sein kann, wenn Gott mich so geschaffen hatte?


c) Die Logik der Sühne


Überhaupt verstand ich die Logik von Sünde und Vergebung nicht. Laut Bibel kann Sünde nur durch Blut vergolten werden. Im Alten Testament wurden noch Tiere geschlachtet, dann schließlich ließ Jesus sich ans Kreuz nageln, um den Menschen von allen Sünden, auch den zukünftigen zu erlösen. Doch woher kam eigentlich diese Regelung? Könnte Gott, als allmächtiger Schöpfer, der die Menschen angeblich so liebt, nicht Abstand von diesem brutalen Gesetz nehmen?


d) Konservative Werte vs. Menschlichkeit


Absehen von meinen Fragen zu Heilsgeschichte hatte ich auch Schwierigkeiten mit den konservativen Werten, die Christ:innen zwangsläufig vertreten, wenn sie bibeltreu leben möchten. Die Überzeugung, dass Homosexualität Sünde ist, dass Ehen nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden dürfen, oder Abtreibung bestraft werden sollte - das alles fühlte sich für mich falsch an, unmenschlich. Diese Auffassungen passten nicht zu meinem inneren Wertekompass.


e) Indoktrination


Erst nachdem ich schon starke Zweifel hatte und mich immer mehr von meinem Glauben löste, wurde mir bewusst, wie stark ich indoktriniert worden war. Schon bevor ich selbst lesen konnte, kannte ich alle wichtigen Geschichten aus der Bibel, hatte von König David gehört, von Daniel in der Löwengrube, von Abraham, der seinen Sohn opfern sollte, und natürlich von Jesus, der für uns am Kreuz starb. Alternative Glaubensmodelle wurden von mir ferngehalten. Die Evolutionstheorie wurde als große Lüge bezeichnet, alle anderen Religionen als Irrlehren oder Sekten deklariert. Sicherheitshalber wurde ich vor Büchern, Filmen oder Musik, die Zweifel in mir auslösen könnten, geschützt. Dass ich mich, ausgehend von dieser gedanklichen Einschränkung, in jungem Alter für den Glauben meiner Eltern entschieden habe, ist wohl kaum verwunderlich.


Es war nie meine Absicht gewesen, meinen Glauben zu verlieren. Ganz im Gegenteil: Ich wollte ihn unbedingt behalten. Ich wollte Antworten auf meine Fragen, damit ich weiter glauben konnte. Denn dieser Glaube bildete das Fundament meines Leben. Alles baute darauf auf. Doch statt Antworten fand ich immer mehr Fragen - bis ich zur alles entscheidenden kam: Gibt es Gott überhaupt? Es hat viele Jahre gedauert, bis ich mich vom christlichen Glauben befreien konnte - und es war nicht einfach, denn es bedeutete auch, einen tiefen Sinn im Leben zu verlieren.


Und damit komme ich auch schon zum zweiten Vorwurf:


2. Du bist von Gemeinden und Menschen enttäuscht worden. Das darfst du nicht auf Gott projizieren.


Wie oben beschrieben waren es nicht meine schlechten Erfahrungen in Gemeinden oder mit Menschen, die mich an meinen Glauben haben zweifeln lassen. Ich hatte viele Fragen, die ich weder durch Recherche noch durch Gebete oder Gespräche klären konnte - und die immer elementarer wurden. Ich glaube nicht mehr, weil ich es nicht mehr kann.


Erst viel später wurde mir bewusst, wie viel destruktives Potenzial die Bibel mitbringt, wenn man sie durch die Brille des christlich-fundamentalistischen Glaubens liest, und wie häufig in den Gemeinden, die ich besucht habe, geistlicher Missbrauch betrieben wurde. Es geht mir nicht darum, meiner vermeintlichen Enttäuschung (die tatsächlich nicht existent ist) Raum zu geben, sondern ich möchte auf dieser Seite darüber aufklären, wie diese christlich-fundamentalistische Form des Glaubens Menschen einschränken, kontrollieren und manipulieren kann.

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1 Comment


Manfred Reichelt
Manfred Reichelt
Jul 15, 2024

Ich nehme dir ab, dass du geglaubt hast. Für deinen Abfall vom Glauben sehe ich den Mangel an überzeugenden Antworten verantwortlich.

Um deine Frage über den Ursprung des Bösen zu beantworten, muss man wissen, dass die Texte für das allgemeine Verständnis der damaligen Zeit geschrieben wurden. Wenn also die Bewusstseinsentwicklung der Menschheit bei der Auslegung der Bibel in Betracht gezogen wird, dann wird deutlich, dass die Personifikationen des Bösen als "Satan", "Teufel" oder "Luzifer" in einer Zeit entstanden, wo die Introspektion des Menschen noch nicht so tief gehen konnte, um sie als innermenschliche Kräfte der Unwissenheit und damit der Bosheit und Zerstörung zu verstehen.


Der Mensch bleibt ein Gefangener eines falschen Bewusstseins, solange er sich mit seinem vergänglichen Körper identifiziert,…

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