Fundamentalistische Christ*innen und die AfD
- Maren Kahl
- 27. Juli 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 8. Sept.
Eine Analyse ideologischer Gemeinsamkeiten und politischer Gefahren

Christfluencer*innen erreichen heute zehntausende Menschen auf Instagram, TikTok und Youtube. Sie prägen Glaubensbilder, geben Orientierung – und verbreiten nicht selten Inhalte, die sich erstaunlich gut mit rechtspopulistischen Narrativen decken. Diese Schnittmenge ist gefährlich, denn wo religiöser Fundamentalismus auf rechte Ideologien trifft, entstehen Verbindungen, die Freiheit und Vielfalt bedrohen.
In den vergangenen Monaten gab es wiederholt Diskussionen um Christfluencer*innen, deren Äußerungen eine auffällige Nähe zur AfD erkennen ließen. Auf empörte Reaktionen liberaler Christ*innen wiesen die entsprechenden Account-Betreiber*innen zwar darauf hin, sich nie explizit für die AfD ausgesprochen zu haben, allerdings – und das ist das große Problem – distanzieren sie sich auch nicht von der Partei. Die so entstehenden Leerstellen sind kein Zufall, sondern Kalkül.
Besonders sichtbar wird diese Nähe am Beispiel von Jasmin Neubauer (@liebezurbibel), der bekanntesten deutschen Christfluencerin mit über 87.000 Followern. Ihre wiederholte Zusammenarbeit mit rechtsoffenen YouTubern wie Leonard Jäger (@ketzerderneuzeit) oder Michelle Gollan (@eingollan) verdeutlicht: Es gibt Überschneidungen – und zwar genau dort, wo die politischen Kernthemen fundamentalistischer Christ*innen und rechter Gruppen zusammentreffen.
Doch was genau haben die beiden Gruppen gemein? Was führt Christ*innen (gemeint sind im Folgenden immer fundamentalistische Christ*innen) und die AfD zusammen? Die Überschneidungen finden sich vor allem in Fragen von Geschlecht, Familie, und Abtreibung. Im Folgenden gehe ich auf die wichtigsten Gemeinsamkeiten ein.
1. Gender und Geschlecht
Fundamentalistische Christ*innen verstehen die Bibel wortwörtlich und berufen sich gerne auf den folgenden Bibelvers, wenn sie das von Gott erschaffene binäre System verteidigen:
„Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“ (1. Mose 1, 27)
Dass neben dem biologischen Geschlecht auch noch das soziale Geschlecht existiert, wird nicht bezweifelt. Ganz im Gegenteil: Geschlechterrollen spielen im Familien- und Identitätsverständnis von Christ*innen eine bedeutende Rolle. Was jedoch verleugnet oder wahlweise verteufelt wird, ist die Tatsache, dass es erstens Menschen gibt, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, und zweitens solche, deren Geschlechtsidentität nicht mit den äußeren Merkmalen übereinstimmt. Über die erste Variante wird in diesen Kreisen selten bis nie gesprochen, für die zweite gibt es unter Christ*innen etliche Erklärungen: Als Ursachen werden okkulte Belastung, geringes Selbstwertgefühl, der Wunsch nach Anerkennung oder frühkindliche Indoktrination genannt. Sehr häufig wird davon ausgegangen, dass Trans* Personen sich für diesen "Lebenswandel" entschieden haben. Doch egal, welche Ursache zugrunde liegt: Wer nicht in das binäre System passt, sündigt und muss von Gott gerettet werden.
Die AfD vertritt ein ähnliches Bild. In ihrem Programm heißt es:
„Die menschliche Spezies besteht aus zwei Geschlechtern, dem männlichen und dem weiblichen“. (Programm der AfD, S. 115)
Auch hier wird Intersexualität zwar kurz erwähnt, eine Anerkennung von Geschlechtsidentität jenseits des binären Systems bleibt jedoch aus.
Beiden Gruppen ist zudem besonders wichtig, dass junge Kinder nicht mit der Idee von mehr als zwei Geschlechtern konfrontiert werden. Die AfD warnt vor einer „Sexualpädagogik der Vielfalt“, die Kinder angeblich „verunsichere“ (Programm der AfD, S. 114). Auch Christfluencerin Neubauer plädiert für ein „Fernhalten politischer Ideologien im Kindergarten“ und propagiert mit ihrem Kinderbuch Jesus & Gender das binäre System.
Konsequenterweise lehnen beide gendergerechte Sprache strikt ab. Die AfD fordert explizit die Beibehaltung des generischen Maskulinums (Programm der AfD, S. 159). Fundamentalistische Christ*innen sehen Gendern zudem als Billigung von „Sünde“.
2. Die klassische Familie und die Rolle der Geschlechter
Die „klassische Familie“ ist für beide Seiten heilig. Für Christ*innen ist die Familie ein von Gott gewolltes Prinzip, für das die Bibel klare Regeln mitgibt. So ist der Mann das Haupt der Familie, der für seine Frau und Kinder sorgt, während sich die Frau ihm unterordnet und für die Erziehung der Kinder zuständig ist (vgl. Epheser 5, 21 ff). Gleichgeschlechtliche Liebe ist für sie eine Sünde und wird – ähnlich wie bei der Transgeschlechtlichkeit – wahlweise als Krankheit, okkulte Belastung oder Entscheidung zum sündigen Lebenswandel gedeutet. Sie wird von Gott verdammt und darf von Christ*innen nicht akzeptiert werden.
Die AfD vertritt ein ähnliches Ideal. Sie fordert die „Würdigung traditioneller Lebensentwürfe“ und lehnt gleichgeschlechtliche Ehe strikt ab:
„Die Ehe ist die auf Dauer angelegte Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau“ (Wahlprogramm, 115)
Nachdem die Ehe für alle 2017 verabschiedet wurde, reichte die AfD einen Gesetzesentwurf in den Bundestag ein, der diese wieder abschaffen sollte.
Auch hier wird deutlich: Ehe und Familie werden nur in einer streng heterosexuellen, hierarchischen Form akzeptiert. Feministische Bewegungen werden als Gefahr für die gottgewollte Ordnung angesehen.
3. Abtreibung
Auch in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs stimmen beide überein: Sie sind "für das Leben" und gegen Abtreibungen. Für Christ*innen beginnt das Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Ab diesem Moment gilt es, das ungeborene Leben mit allen Mitteln zu schützen. Denn schon in den zehn Geboten steht „Du sollst nicht töten“ (2. Mose 20,13). Auch wenn Schwangerschaften durch Gewalt entstehen, wird keine Ausnahme gemacht, denn die Entstehung von neuem Leben wird immer als ein Geschenk Gottes angesehen. Von Frauen wird verlangt, dieses „Opfer“ im Vertrauen auf Gott tragen zu müssen. Abtreibung wird so moralisch stark aufgeladen und mit Schuld und Scham verknüpft.
Das Parteiprogramm der AfD verzichtet zwar auf religiöse Sprache, argumentiert aber ähnlich: „Ungeborene Kinder haben ein Recht auf Leben." Abtreibung soll massiv eingeschränkt werden. Zudem lehnt die AfD Werbung für Abtreibungen ab und setzt sich dafür ein, die rechtlichen Hürden für Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, hochzuhalten.
Beide Gruppierungen möchten die reproduktive Selbstbestimmung einschränken und schwangeren Personen die Entscheidungsfreiheit über ihren Körper nehmen. Betroffene werden massiv unter Druck gesetzt: moralisch durch religiöse Argumente – oder politisch durch gesetzliche Restriktionen.
4. Autoritäres Weltbild
Beide Gruppierungen eint das Misstrauen gegenüber Pluralismus und demokratische Strukturen. Christ*innen ordnen sich Gott und seinen Vertretern auf der Welt unter – für sie zählt einzig der höhere Wille. Ihre Aufgabe ist es, bereits jetzt Gottes Reich aufzubauen und dafür zu sorgen, dass seine Regeln eingehalten werden. Für Meinungsvielfalt und Toleranz ist hier wenig Platz. Und auch die AfD wirbt für eine „starke Hand“, diskreditiert die Medien als „Lügenpresse“ und schürt Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen. Beide Gruppen teilen damit ein autoritäres Grundverständnis: Sie versprechen Sicherheit durch Gehorsam, Klarheit durch Hierarchie. Die Ordnung soll durch die Einschränkung von Vielfalt gefestigt werden. Diese Strukturen begünstigen Machtmissbrauch – sei es geistlich oder politisch.
5. Klimawandel und Umweltschutz
Beim Thema Klimawandel teilen die beiden weniger eine konkrete Position als ein Desinteresse. Christ*innen interessieren sich in der Regel nicht für Möglichkeiten, den Klimawandel einzudämmen. Für sie sind Umweltkatastrophen, Kriege oder Hungersnöte lediglich Vorboten des bevorstehenden Armaggedons - und Jesus' Wiederkunft möchten und können sie nicht aufhalten. Für sie ist der Schutz der Erde und Umwelt darum nicht von Bedeutung und jede Bemühung Zeitverschwendung. Die AfD dagegen leugnet den menschengemachten Klimawandel und hat dementsprechend wenig Lösungen für das Problem im Angebot (Programm der AfD, S. 175). Beide bleiben in dieser Hinsicht untätig.
Ob autoritärer Wahrheitsanspruch, die Abwertung anderer Lebensentwürfe oder die Ablehnung gesellschaftlicher Vielfalt – die Parallelen zwischen Christinnen und der AfD sind deutlich. Gemeinsam ist ihnen die Abwertung anderer Lebensentwürfe und die Einschränkung von Freiheitsrechten. Der Unterschied liegt lediglich in der Begründung. Christ*innen berufen sich auf die Bibel und den göttlichen Willen, die AfD argumentiert nationalistisch. Das Ergebnis bleibt dasselbe.
Gerade deshalb ist es unverzichtbar, dass Christ*innen die biblische Botschaft von Nächstenliebe und Gerechtigkeit ernst nehmen und klare Grenzen ziehen. Wer den Glauben an Jesus mit einer Politik verbindet, die auf Ausgrenzung und Feindbildern basiert, verrät nicht nur die Demokratie, sondern auch den Kern des Evangeliums.




Woher willst du wissen, dass es Gott nicht gibt? Du bist nicht allwissend, was ist mit dem Risiko? Warst du schon einmal tot, was passiert mit deinem Geist, wenn dein Körper tot ist? Falls es wirklich keine Hölle gibt, hast du Glück gehabt, aber woher willst du wissen, dass es keine Hölle gibt? Die Bibel ist ein Leitfaden für das Leben auf der Erde, wenn man ihn nicht befolgt, wird das Chaos regieren. So ist es schon immer gewesen, das steht in der Bibel. Wir Menschen sind gar nichts ohne Gott, wer weckt dich morgens, wenn du aufwachst, wer schreibt deine Texte? Das bist nicht du, das ist die schöpferische Kreativität durch den Heiligen Geist. Wo sind deine Beweise?
"Was jedoch verleugnet oder wahlweise verteufelt wird, ist die Tatsache, dass es erstens Menschen gibt, deren Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, und zweitens solche, deren Geschlechtsidentität nicht mit den äußeren Merkmalen übereinstimmt."
So klar ist die Angelegenheit mit den Geschlechtern nicht. Bereits in der Antike wurde über Androgynos (der Mannweibliche) geschrieben, berichtet wird auch von Platons Kugelmenschen. Die Bibel lässt sich auch in diese Richtung interpretieren:
"Wie bereits erwähnt, kommt der Mythos der Androgynos Menschen weltweit in allen Überlieferungen / Erzählungen vor. Im 1. Buch Mose (AT) gibt es eine hebräische Auslegung von den Androgynos Menschen. Diese Schöpfungsgeschichte lässt sich so auslegen, dass der Mensch als Mann und Weib (Androgynos) erschaffen wurde. Zitat 1. Mose, 27:
Sehr spannender Artikel, auch wenn ich fürchte, dass sich eben doch viele von den Gemeinsamen Zielen, auch wenn sie unterschiedliche Motivationen haben, blenden lassen. Was mich ehrlich verwundert ist, dass Umwelt-/ Klimaschutz keine Rolle spielt… gibts nicht auch diverse Bibelverse, dass der Mensch schützen soll, was Gott ihm gegeben hat und er verantwortlich dafür, gut damit umzugehen? Aber es ist vermutlich ähnlich wie in der Politik, solange keiner den Fokus darauf lenkt innerhalb der Kirchengemeinden ist es unwichtig…